Stell dir folgende Situation vor. Du sollst kurz vor dem Meeting die Präsentation übernehmen. Dein Chef ist ausgefallen. Jetzt ist guter Rat teuer. Du bist nicht vorbereitet und hast noch nie vor Menschen gesprochen. Warum hat man dich nicht vorher informiert. Dann hättest du dich vorbereitet.
Hier kommt die Redewendung ,,aus dem Stegreif“ bzw. ,,aus dem Stand“ zum Tragen. Von jetzt auf gleich ohne Vorbereitung eine Rede halten. Das ist eine Herausforderung. Allein der Gedanke bereitet Unbehagen. Selbst eine Rede mit genügend Vorbereitungszeit bereitet vielen Menschen Kopfzerbrechen. Spontane Reden werden als Stegreifreden bezeichnet. Selbst wenn eine inhaltliche Vorbereitung fast ausgeschlossen ist lässt sich die Situation mit rhetorischen Werkzeugen meistern. Das Ziel ist die Wirkung beim Publikum.
Andere Situation: Du bist Mitglied in einem Toastmastersclub. Das ist eine Organisation zur Förderung der freien Rede. Stegreifreden gehören dort zum Programm. Außerdem finden immer im Frühjahr (Monate Februar bis Mai) Wettbewerbe für Stegreifreden statt. Als ich 2015 zu den HanseRednern in Hamburg gekommen bin, gewann ich in dem Jahr gleich den Clubwettbewerb der Stegreifreden.
Damit du für deine nächste Stegreifrede gewappnet bist, hier 12 Tipps:
Höre genau zu und wiederhole die Aufgabe bzw. Frage mit eigenen Worten.
Falls du die Frage nicht richtig verstanden hast bzw. Fragen auftauchen, stelle eine Rückfrage oder wiederhole die Frage nochmal.
Nutze eine Pause, um Gedanken zu sammeln, eine Stegreifrede aufzubauen und ggf. die Zeit für Nachfragen zu nutzen. Rede vor allem im beruflichen Kontext nicht gleich drauf los. Mir ist oft passiert, dass ich Äußerungen bedauert habe. Was einmal gesagt ist, lässt sich nicht mehr zurückholen. Anders im Stegreifredenwettbewerb: Hier solltest du möglichst schnell nach einer kurzen Überlegungsphase antworten. Sonst wirst du disqualifiziert.
Erst überlegen, dann reden. In der Stegreifrede hast du nicht viel Zeit. Die ganzen Prozesse gehen schnell über die Bühne. Am Besten stellst du zur Frage oder Aufgabe einen persönlichen Bezug her. Was verbindet dich mit der Frage? Bist Du Experte? Hast Du ein Erlebnis in Verbindung mit der Aufgabe? Hast du dazu eine Meinung? Wenn du keinen Bezug hast, ist eine Meinung immer eine gute Antwort. Es gibt viele Möglichkeiten.
In einer Stegreifrede läuft alles viel schneller ab. Ich habe immer meinen ersten Gedanken zur Frage oder Aufgabe genutzt. Dann arbeitete das Gehirn. In einem Wettbewerb ist die Zeit nicht da, erstmal alle Möglichkeiten abzuwägen. Im beruflichen Kontext nimm dir immer die Zeit. Wenn du eine Frage bekommst, dann lass dich nicht zu einer Antwort drängen.
Natürlich ist auch in der Stegreifrede eine Struktur wichtig, damit das Publikum oder dein Gegenüber folgen kann. Du willst kein wirres Zeug reden. Hier kannst du verschiedene Strukturen parat haben. Die Grundstruktur einer Rede Einleitung – Mittelteil – Schlussteil greift auch in einer Stegreifrede.
Eine sehr einfache Struktur vor allem für Lobreden, Ehrungen etc. Was war gestern. Was gibt es für Gemeinsamkeiten? Wie haben sich Redner und Jubilar kennengelernt? (Gestern). Wie ist die aktuelle Situation. Was zeichnet den Jubilar heute aus? Gemeinsamkeiten…(Heute). Was wünscht der Redner dem Jubilar für die Zukunft? (Morgen)
Die Aufzählung verschiedener Punkte ist eine bewährte Struktur für eine Stegreifrede. Z.B. wir machen die Entwicklung an drei Punkten fest:
Erstens sehen wir die Punkte so…
Zweitens machen wir das Ganze daran fest…
Drittens nicht zu vergessen ist das…
Die Problemlösungsstrategie gehört zum Alltag. Dem Publikum brennt was unter den Nägeln. Eine Lösung muss her. Erst nochmal die Situation beschreiben. Der aktuelle Stand (Istzustand). Dann die gewünschte Situation. Wo will man hin (Sollzustand). Wie können wir die gewünschte Situation erreichen. Wie sieht die Lösung aus. (Lösung). Zum Abschluss den Weg zur Lösung präsentieren. (Weg)
Gerade in politischen Diskussionen wird mit Argumenten, Thesen etc gearbeitet. Die eine Seite versucht die Argumente der anderen Seite zu entkräften. Z.B. ist hier die Einwandvorwegnahme ein gutes Mittel. Wenn ich ein Ziel habe, das Publikum zu überzeugen, lege ich mir eine Strategie zurecht. Dann kenne ich auch die Argumente der Gegenseite und versuche sie zu entkräften. Ich stelle eine These auf. Begründe sie. Dann formuliere ich eine Antithese und komme beim Gegenüberstellen von These und Antithese in der Synthese zum Ergebnis.
Kennst du die Reaktion von Teilnehmenden an Podiumsdiskussionen und Talkshows. Viele Politiker nutzen gerne die Veranstaltung als Bühne für ihre Meinung und Ansichten. Wenn eine Frage nicht passt, weichen sie entweder aus oder legen den Fokus auf grundsätzlichere Dinge. Natürlich laden manchen Fragen von Moderatoren auch dazu ein, sich so zu verhalten. Wer an einer Podiumsdiskussion oder Talkshow teilnimmt, befindet sich in einer Stegreifredensituation. Der Unterschied kann sein, dass die Teilnehmenden natürlich in ihrem Bereich auskennen. Sie sind als Experten zu diesen Veranstaltungen eingeladen worden. Genauso kannst du dich in einer Stegreifrede oder einem Gespräch verhalten. Wenn die Frage oder Aufgabe nicht passt oder unangenehm ist, einfach in eine andere Richtung antworten. Vielleicht in der Antwort weiter zurück gehen. Wie ist es zu diesem Umstand gekommen. Oder du erzählst einfach ganz etwas anderes. Im Toastmastersclub ist das erlaubt. Im Wettbewerb kann das natürlich nach hinten losgehen. Wenn du keine Antwort weisst, dann schweife ab oder mache einfach eine längere Pause. Es ist auch nicht schlimm, zu sagen, dass man die Frage derzeit nicht beantworten kann und eine Antwort nachreicht.
Eine persönliche Geschichte ist immer besser als nur Zahlen-Daten-Fakten zu präsentieren. Mit deiner Geschichte bindest du das Publikum. Sie können sich später noch an deine Worte erinnern. Mit einer emotionalen Geschichte fiebert dein Publikum mit. Das habe ich auch mal erlebt und kann mich in deine Story hineinfühlen. Im Hinblick auf den Wettbewerb: Du überzeugst die Regie natürlich mehr mit einer Story als mit einer losen Auszählung von Fakten.
Der Start ist wichtig, damit dein Publikum an deinen Lippen hängt. Je stärker der Anfang der Rede ist, desto aufmerksamer ist dein Publikum. Auch mit einer Frage bindest du dein Publikum in deine Rede mit ein.
Auch das Ende ist genauso wichtig wie der Start. Was erwartest du vom Publikum. Was soll das Publikum aus deiner Rede mitnehmen. Welche Handlungen soll das Publikum danach absolvieren. Was hast du für eine Botschaft. An einen Hammer am Ende erinnert sich das Publikum noch nach deiner Rede. Mit einer Botschaft, Handlungsaufforderung, einem Appell machst du von dir Reden.
Wenn du vor anderen Menschen eine Stegreifrede hälst. Das kann im Meeting, vor einer Versammlung oder im Wettbewerb sein. Nimm Verbindung mit dem Publikum auf. Rede nicht gleich drauf los. Nimm erstmal einen sicheren Stand in der Mitte der Bühne, im Raum etc. ein. Damit du gut gesehen wirst. Dann baue Blickkontakt zum Publikum auf. Im Gespräch auch Blickkontakt zum deinem Gegenüber aufnehmen. Lasse deinen Blickkontakt im Publikum schweifen. Dann fühlt sich dein Publikum abgeholt und mitgenommen. Das Ganze mit einer Pause. Wenn Du Kontakt aufgenommen hast, fängst du an zu reden.
Auch das kann passieren. Das ist kein Grund, in Panik zu verfallen. Hier ist die Pause ganz wichtig, um sich zu sammeln. Wenn dir partout nichts einfällt, greife die Frage nochmal auf. Wiederhole die Frage und dann fängst du an zu reden. Wenn du z.B. nach einem Vortrag aus dem Publikum eine Frage bekommst, jedoch keine Antwort parat hast. Dann nimmst du die Frage mit und lieferst die Antwort nach. Wenn du spontan eine Aufgabe bekommst und keine Antwort parat hast, greife die Frage auf und antworte mit deiner Meinung. Du kannst mit deiner Antwort auch den Fokus in eine andere Richtung lenken. Wenn das Thema dir nicht schmeckt, zerredest du das Thema einfach. Wenn dir das im Wettbewerb passiert, ist das zwar nicht glücklich. Du kannst auch dort mit einer schlagfertigen Antwort die Regie überzeugen.
Beispiel: Als ich 2019 den Toastmastersclub in Münster besuchte, war dort auch ein frischer TedX-Speaker zu Gast. TedX ist ein Format für Speaker mit 18 Minuten-Reden.
Auf einer TedX-Veranstaltung aufzutreten klappt nicht mal eben so. Das sind Menschen, die was zu sagen haben und schon mehrere und größere Auftritte hinter sich haben. TedX-Speaker führen das auch in ihrer Vita, dass sie TedX-Speaker sind.
Er meldete sich dann bei den Stegreifreden, bekam eine Frage und dann… kam der Blackout. Es kam keine Antwort. Nach einiger Zeit litt das Publikum mit ihm und half. Einen Blackout kann jeden treffen. Für dich fühlt sich das an wie eine Ewigkeit. Für das Publikum kann es einfach nur eine längere Pause sein.
2013 kandidierte ich für eine politische Funktion im dbb hamburg. Während meiner Kandidatenrede hatte ich auf einmal einen Blackout. Die Pause war auf einmal auch für das Publikum ziemlich lang. Im Saal kam langsam eine Unruhe auf. In meinem Kopf war eine Leere. Ich rang nach den Worten. Du hast in dem Moment ein Brett vor dem Kopf. Du willst was sagen, kannst jedoch nicht. Ich blickte in die Gesichter. Im nächsten Moment erinnerte ich mich an meiner letzten Worte. Dann fiel mir wieder ein, was ich sagen wollte. Ich fing ich mich wieder und konnte meine Bewerbungsrede beenden. Ich wurde auch gewählt. Ein Blackout kann passieren. Wie wir damit umgehen und was wir darauf machen, bestimmt unsere Wirkung zum Publikum.
Ein Tipp zum Blackout: Wenn du dich in der freien Rede nicht sicher fühlst, dann habe Stichwortkarten dabei. Da kannst du zur Not drauf gucken. Das Thema werde ich in einem anderen Blog aufgreifen. Denn hier geht es um Stegreifreden.
Im Podcast von Business Coach und Keynotespeaker Udo Gast mit Ruth Heume und mir über SALT Lüneburg (Toastmatersclub) habe ich meine Tipps zur Stegreifrede wiedergegeben. In dem Clip siehst Du den Anfang meines Statements zur Stegreifrede: https://youtube.com/clip/UgkxT_d3bLd9LObJZZ5eNqY8TagSV81X0_iE
Den kompletten Podcast kannst du auf YouTube unter dem Link https://youtu.be/yt4i3Y7LWnY abrufen. Meine Tipps zur Stegreifrede findest du ab Minute 29:40 bis 32:20.
Unter anderem handelt der Podcast auch über Toastmasters International, Redestolz und meine Ausbildung in der Germanspeakersassoziation (GSA) zum Professional Speaker (GSA). Außerdem haben wir auch über Ruth`s Weg zu den Hamburg International Speakers, ihr Ziel eines Lüneburger Toastmastersclubs und Episoden aus ihrer Vergangenheit gesprochen.
Stegreifreden machen unheimlich Spaß. Sie schulen die Schlagfertigkeit und das Gehirn. In meinen Workshops trainieren wir Stegreifreden mit Feedback. Da kannst du unwahrscheinlich viel lernen.
Ich wünsche dir auf deiner Bühne viel Spaß mit den Stegreifreden. Wenn du einen Wettbewerb bestreitest, wünsche ich dir viel Erfolg. Wenn dir meine Tipps geholfen haben, lasse es mich gerne wissen. Wenn du weitere Fragen zu Stegreifreden und anderen Themen der Rhetorik hast, kontaktiere mich gerne über ed.zl1695314971otsed1695314971er@tk1695314971atnok1695314971 oder über die sozialen Netzwerke.
Jens-Uwe Adler